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Klassenzimmergeschichten

Leseprobe

Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt:

Achim Bröger
– Wie wird das in der Schule?

Renate Welsh
– Ganz allein wär doppelt schlimm

Frank Stieper
– Malina lernt für die Schule

Nina Schindler
– Plätzetausch

Elisabeth Zöller
– Ich bin stark wie Supermann

Achim Bröger
– So ist das in unserem Klassenzimmer

Barbara Zoschke
– Die Bleistift-Fee

Sabine Jörg
– Drei Treffen (Gedichte)

Bettina Obrecht
– Sara malt die schnellsten Bilder

Achim Bröger
– Heute war’s doof in der Schule

Wolfram Hänel
– Die Neue

Elisabeth Zöller
– Will einer mich ärgern

Evelyne Stein-Fischer
– Ich mag dich so, wie du bist

Achim Bröger
– Ich hab Bauchweh

Reiner Engelmann
– Opa Nikolaus

Cornelia Franz
– Rotkäppchen und der böse Hase

Regina Rusch
– Der Ausflug

Karlhans Frank
– Zaubersprüche

Christina Seidel
– Frühhort

Achim Bröger
– Anna geht allein zur Schule

Eva Polak
– Malin

Karlhans Frank
– Rechtschreibrätsel

Klaus-Peter Wolf und Bettina Göschl
– Das Schulgespenst

Christa Zeuch
– Majas Ausflug zum Fuchs, der Marmelade kocht

Sabine Thomas
– Neustart

Karlhans Frank
– Was nimmst du mit auf die Ferieninsel?

Friederun Reichenstetter
– Ein Neuer kommt

Karlhans Frank
– Eine runde Bücherwoche

Achim Bröger
– Wie wird das in der Schule?

Annas großer Bruder sagt: »Wir haben viel zu viele Hausaufgaben auf. Ich find’s doof, dass ich zur Schule muss.«
Mama sagt: »Gestern hat es dir in der Schule aber noch gefallen.«
»Kann sein«, antwortet Rolf. »Da war’s besser.«
Anna sitzt in ihrem Zimmer. Bald wird auch sie in die Schule gehen. Manchmal weiß sie gar nicht, ob sie sich darauf freuen soll. Sie überlegt: Ist die Schule doof? Oder ist die Schule toll? Ihr großer Bruder sagt das einmal so und einmal so.
Mama ist gerne zur Schule gegangen, erzählt sie. Jetzt geht sie sogar am Abend freiwillig hin. Sie will dort nämlich Englisch lernen.
Papa fand die Schule manchmal gut, manchmal auch schlecht. Es kam immer ganz darauf an, was für einen Lehrer er hatte.
Omas Lehrer war streng. Der hatte einen Rohrstock zum Hauen. Aber so etwas gibt es heute nicht mehr. Trotzdem hat Oma gesagt: »Mit der Schule beginnt der Ernst des Lebens.«
Das klingt fast ein wenig zum Fürchten.
Paul, der Nachbarsjunge, hat gesagt: »Mir gefällt’s in der Schule. Unsere Lehrerin ist nett und lustig.«
Jeder sagt etwas anderes. Anna weiß wirklich nicht, ob sie sich auf die Schule freuen soll. Manchmal denkt sie: Ich könnte ja mal zur Probe hingehen. Wenn es mir nicht gefällt, bleibe ich zu Hause.
Aber Mama sagt: »Das geht nicht. Alle Kinder müssen zur Schule! Denn alle sollen etwas lernen.«
Schreiben, lesen und rechnen möchte Anna wirklich können. Sogar möglichst schnell und so gut wie ihr Bruder. Das weiß sie genau. Noch etwas weiß Anna. Im Kindergarten war sie jetzt lange genug.
Wie wird das bloß in der Schule?, überlegt sie. Damit Anna das erfährt, muss sie wohl erst hingehen. Sie ist schon sehr gespannt auf ihren ersten Schultag.

Renate Welsh
– Ganz allein wär doppelt schlimm

Hannah hat Herzklopfen. Heute ist ihr erster Schultag.
Mit so viel Herzklopfen ist es schwer, die Bluse zuzuknöpfen. Die Knöpfe sind zu dick für die Knopflöcher. Gestern hatten sie noch die richtige Größe.
Hannah war schon mit Mama in der Schule. Sie weiß, dass die Lehrerin Sabine heißt, kurze braune Haare hat und Sommersprossen auf der Nase.
Sie weiß, dass ihre Klasse gleich links vom Eingangstor liegt. Sie weiß, dass die Mädchentoiletten den Gang entlang, rechts um die Ecke sind. Sie weiß, dass die Garderobe unten im Keller ist.
Sie weiß, dass der Hausmeister einen dicken Ringelkater hat. Sie weiß sogar, dass der Kater Tom heißt.
Hannah weiß wirklich eine Menge. Nur das Wichtigste weiß sie nicht.
Sie weiß nicht, wer ihre Nachbarin sein wird. Oder ihr Nachbar.
Sie kennt überhaupt kein einziges von den anderen Kindern, die in ihrer Klasse sein werden.
Hannah ist in einer anderen Stadt in den Kindergarten gegangen. Erst am 8. August sind Mama und sie hierher gezogen. Nur sie beide. Alle anderen sind zu Hause geblieben: Papa, Opa und Oma, Großmama und ihr Papagei, die Uroma, die alte Frau Winter im Nebenhaus. Natürlich sind der Großpapa und der Uropa auf dem Friedhof geblieben und Hannahs Apfelbaum im Garten. Auch alle Kinder sind dort geblieben. Ihre beste Freundin Karin, ihre zweitbeste Freundin Bettina, ihr bester Freund Toni. Die fehlen ihr sehr. Ganz allein ist schlimm. Sie wäre sogar froh, wenn Mario hier wäre, der sie so oft an den Haaren gezogen hat. Oder Angelika, die sie ausgelacht hat, weil sie keinen Purzelbaum rückwärts kann. Oder Fanny, die ihr die Schuhe versteckt hat.
Gestern beim Einkaufen hat ein Junge sie vor der Kasse zur Seite geschubst. Im Park haben drei Mädchen sie nicht aufs Karussell gelassen, eine hat ihr die Zunge herausgestreckt. Kein einziges Kind auf der Straße hat freundlich geschaut.
Hannah seufzt. In ihrem Bauch rumort es. Eigentlich müsste sie eine Wärmeflasche bekommen und ins Bett gesteckt werden. Aber Mama ruft und drückt ihr eine wunderschöne bunte Schultüte in die eine Hand, packt die andere und zieht sie aus der Wohnung. Hannah stolpert auf der Stiege vor dem Haus.
»Hoppla!«, sagt Mama ungerührt und fragt nicht einmal, ob Hannah sich wehgetan hat. Hannah hinkt bis zur Kreuzung.
Aus allen Richtungen kommen Kinder mit Schultüten. Fast jedes Kind winkt einem anderen zu, alle rufen und schwenken ihre Tüten. Niemand winkt Hannah, niemand ruft ihr zu. Vielleicht, denkt sie, kommt jetzt ein Wirbelsturm und trägt sie fort. Oder ein Regenguss und schwemmt sie weg. Sie hebt den Kopf. Blöder blauer Himmel. Da oben ist nicht eine einzige winzigkleine Wolke und die Blätter der Bäume bewegen sich nicht.
Vor der Tür zur Klasse begrüßt die Lehrerin Eltern und Kinder. Die Mütter und ein paar Väter stehen hinten in der Klasse und unterhalten sich. Die Kinder rennen durcheinander, manche stecken die Köpfe zusammen. Alle sind aufgeregt. Hannah hält Mamas Hand fest, aber Mama macht ihre Hand los, schubst Hannah zu den Kindern und geht einfach zu den Erwachsenen. Kurz darauf hört Hannah ihre Mama lachen. Die plaudert ganz einfach mit einer Frau, die ein Baby in einem regenbogenbunten Tragetuch an den Bauch gebunden hat. Das Baby strampelt mit den dicken Beinchen.
Die Lehrerin kommt herein und stellt sich vor die Tafel. Irgendwo quietscht etwas. Die Lehrerin bittet die Kinder, ihr suchen zu helfen. Sofort geht das Gewusel wieder los, das sich gerade erst beruhigt hat. Aber da hat die
Lehrerin schon im Papierkorb unter dem Waschbecken eine Maus gefunden mit einem sehr langen, dünnen Schwanz. Die Lehrerin kreischt auf.
»Ist doch nur eine Handpuppe«, sagt ein Junge. »Wer hat das gesagt?«, piepst die Maus. »Warte nur, gleich beiße ich dir die Nase ab! Von wegen Handpuppe. Ich bin die Klassenmaus, ich bin die wichtigste im Haus. Ich bin gefährlich für böse Buben!«
»Hier gibt es keine bösen Buben«, sagt Sabine. »Wir wollen erst mal sehen, dass jedes Kind einen guten Platz bekommt.« Sie nimmt einen Sack von ihrem Stuhl und schüttelt ihn. Die Klassenmaus taucht den Kopf hinein und zieht einen Button heraus, auf dem in bunten Leuchtbuchstaben EVA steht.
Neben der würde ich gern sitzen, denkt Hannah, als sie das Mädchen mit den abstehenden Zöpfen sieht, das sich den Button ansteckt. Aber nach Eva kommt Katrin, dann Lukas, dann Alice. Vielleicht bin ich gar nicht dabei, denkt Hannah nach einiger Zeit. Dann kann ich wieder heimgehen. Aber da piepst die Maus ihren Namen.
Hannah wartet aufgeregt, wer jetzt kommen wird. Es stehen nur mehr wenige Kinder, die meisten sitzen schon auf ihren Plätzen. Ein Mädchen mit schwarzen Locken und einer braunen Haut beißt sich auf die Unterlippe und schaut mit gerunzelter Stirn finster in die Gegend. Nur die nicht, denkt Hannah. Die schaut so…

Reiner Engelmann (Autor)
Heribert Schulmeyer (Illustrator)

Taschenbuch: 160 Seiten
Verlag: cbj (24. Mai 2005)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3570215431
ISBN-13: 978-3570215432

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